Tschechien hat am 1. Juli die Präsidentschaft der Visegrád-Gruppe (V4) von der Slowakei übernommen. Der Gruppe gehören neben den beiden Staaten auch Ungarn und Polen an. Letztere kritisierte der tschechische Premier Petr Fiala (ODS) zum Auftakt des V4-Vorsitzes scharf, weil sie auf dem jüngsten EU-Gipfel einen europäischen Kompromiss in Sachen Asyl- und Migrationspolitik verhindert haben. Die tschechische V4-Präsidentschaft will drei Bereiche in den Mittelpunkt rücken: "Sichere und fortschrittliche Gesellschaften", "innovative und vernetzte Wirtschaft" und "Unterstützung für die Ukraine".
Die Premierminister der Slowakei und Tschechiens in Prag: Ľudovít Ódor und Petr Fiala
Bild: Facebook/Petr Fiala
Premier Fiala hält das Platzen des jüngsten EU-Gipfels zu Migrationsfragen durch das Veto aus Ungarn und Polen für "nicht verantwortungsvoll". Mit dem Verhalten der beiden Visegrád-Partner seien die Gelder für finanzielle Unterstützung jener Länder die Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen haben, in Gefahr, sagte er. Man hätte sich auf dem Gipfel endlich auf eine gesamteuropäische Vorgehensweise bei Asyl und illegaler Immigration einigen können, so Fiala.
Deutet man diese Aussagen, so entsteht der Eindruck, dass Tschechien vor allem die Slowakei als den wichtigsten Partner innerhalb der V4 betrachtet. Am 4. Juli empfing Fiala seinen slowakischen Amtskollegen, den Chef des bis zur Wahl eingesetzten Übergangskabinetts Ľudovít Ódor. Während des etwa einstündigen Treffens erörterten sie die Zusammenarbeit in den Bereichen Energie und Verteidigung, die Hilfe für die Ukraine und die illegale Migration.
"Wir haben auch über den bevorstehenden NATO-Gipfel in Vilnius gesprochen. Die Ukraine erwartet dort einen klaren Impuls von der Allianz. Sowohl die Tschechische Republik als auch die Slowakei sind absolut einhellig der Meinung, dass man sich dafür einsetzen muss, dass die Ukraine die größtmögliche politische Unterstützung erhält, auch indem man die Aussicht auf eine künftige NATO-Mitgliedschaft zum Ausdruck bringt", so Fiala. "Wir waren uns auch einig, dass wir uns weiterhin für den Beitritt Schwedens zur NATO einsetzen müssen, der von Ungarn und der Türkei noch nicht ratifiziert wurde", ergänzte er.
Anschließend begab sich Ódor auf die Prager Burg, wo er von Präsident Petr Pavel empfangen wurde, mit dem er über den bevorstehenden NATO-Gipfel in Vilnius und andere bilaterale Themen sprach. ""Die tschechisch-slowakischen Beziehungen sind stark und die gegenseitige Zusammenarbeit ist unabhängig vom Wechsel der politischen Vertretung unerschütterlich", sagte Pavel nach der Unterredung.
Auch auf der Ebene der Außenminister gab es an diesem Tag ein tschecho-slowakisches Zusammentreffen. Der slowakische Außenminister Miroslav Wlachovský begleitete Ódor nach Prag und führte Gespräche mit dem tschechischen Amtskollegen Jan Lipavský (Piraten). Neben den Beziehungen wurde auch die bevorstehende gemeinsame Reise der tschechischen, slowakischen und österreichischen Minister nach Nordmazedonien Mitte Juli besprochen, schrieb Lipavský auf Twitter.
Kritik von Babiš: Fiala "zerschlägt" die Visegrád-Gruppe
Oppositionsführer und ANO-Chef Andrej Babiš reagierte auf Fialas Schelte Richtung Ungarn und Polen mit herber Kritik. In Sachen Migration- und Asylpolitik stehe er auf Seiten der beiden Länder. Durch seine Spaltung in "gute" und "schlechte" Visegrád-Staaten "zerschlage" der tschechische Regierungschef die V4 als wichtige Interessensgruppe innerhalb der EU, meinte Ex-Premier Babiš.
Der Vorsitz Tschechiens in der Visegrád-Gruppe wird bis Ende Juni 2024 dauern. Premier Fiala hat auf dem letzten V4-Gipfel in Pressburg das Programm für diesen Zeitraum präsentiert. Es umfasst im Wesentlichen die Themen Sicherheit, Gesellschaft, Vernetzung der Wirtschaft und Unterstützung für die Ukraine. Das Programm (engl., PDF) ist über diesen Link abrufbar:
https://www.visegradgroup.eu/documents/presidency-programs/v4-program-20232024
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