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03 Oct
Scherbenhaufen nach Bartoš-Krise: Angezählte Regierung wird umgebaut

Die Regierung der Tschechischen Republik hat turbulente Tage hinter sich. Nachdem Premier Petr Fiala (ODS) den Regionen- und Digitalisierungsminister Ivan Bartoš (Piraten) unsanft aus dem Amt geworfen hat (POWIDL berichtete), beendete daraufhin die Piratenpartei die Mitarbeit in der Koalition. Die Regierungsmehrheit im Parlament ist auf vier Mandate geschrumpft. Nach dem bereits entlassenen Bartoš hat auch Legislativminister Michal Šalomoun seinen Rückzug für Mitte Oktober angekündigt. Außenminister Jan Lipavský (bis zum 1.10. Piraten) hingegen verlässt lieber seine Partei als sein Ministeramt und verbleibt in der Regierung Fiala. Für die Nachfolge von Industrieminister Jozef Síkela, der in die EU-Kommission nach Brüssel wechselt, hat die STAN-Bewegung ihren Vize-Vorsitzenden Lukáš Vlček vorgeschlagen.

Digitalisierungsminister und Piraten-Parteichef Ivan Bartoš bei seinem letzten Ministerrat am 25.9.

Bild: Media servis vlády České republiky

Mit dem Rückzug der Piraten aus der Regierung haben die Koalitionspartner nicht gerechnet. In einer Fernsehdiskussion auf ČT24 kritisierte der STAN-Abgeordnete Jan Lacina das Verhalten der Piraten scharf. Er meinte, die Partei von Bartoš hätte sich "nicht so einfach aus dem Kampf zurückziehen" dürfen. Gesundheitsminister Vlastimil Válek (TOP'09) ergänzte in der selben Debatte, er sei auch deshalb besorgt über die Situation, weil stellvertretende Minister, die im Ministerium gute Arbeit geleistet hätten, ebenfalls zurücktreten würden. Die Europaabgeordnete Markéta Gregorová von den Piraten argumentierte hingegen, dass der Abgang nicht freiwillig war, aber nach der Art und Weise, wie Bartoš entlassen wurde, könne es nicht anders sein. Sie wies auch darauf hin, dass Bartoš sich in die Enge habe drängen lassen und dass er in der Regierung mehr "auf den Boden stampfen" hätte müssen.

Gregorová entgegnete, dass der Abgang nicht freiwillig war und einen Vertrauensbruch darstellte. Sie sagte auch, dass wiederholt Unwahrheiten über den Grund der Entlassung, die missglückte Digitalisierung des Bauverfahrens, erzählt wurden. "Die überwiegende Mehrheit der Baugenehmigungen wird noch nach dem alten System erteilt, sie werden nach und nach digitalisiert, es besteht also keine Gefahr, dass das Bauverfahren gestoppt oder verzögert wird, es läuft weiter", sagte sie und fügte hinzu, dass im Internet "manipulative Tabellen" kursierten. "Selbst die NERV (Nationaler Beratungsstab der Regierung in Sachen Wirtschaft, Anm.) hat gesagt, dass sie manipuliert sind. Die Baugenehmigungen werden in der gleichen Anzahl wie zuvor eingereicht." Sie fügte hinzu, dass es beispielsweise im Ministerium für Arbeit und Soziales immer wieder zu Verzögerungen bei der Auszahlung von Renten und anderen Leistungen gekommen sei, was sie als ein viel größeres Problem ansieht.

Jan Skopeček (ODS), Mitglied des Präsidiums der Abgeordnetenkammer, sagte, die Piraten seien freiwillig gegangen. Er fügte hinzu, dass noch nie in der Geschichte jemand eine Regierung "auf so unwürdige Weise verlassen hat". Er bezog sich dabei auf eine Pressekonferenz, auf der Vertreter der Piratenpartei Skopeček, den südböhmischen Hejtman Martin Kuba, den Verkehrsminister Martin Kupka und den Finanzminister Zbyněk Stanjura (alle ODS) beschuldigten, den Premier bei einem angeblichen Treffen zur Entlassung von Bartoš gezwungen zu haben. Die Piraten sprachen auch über "Paten". Laut Skopeček haben sie "in den Akten gelogen, und einige der Anschuldigungen sollten die Tatsache vertuschen, dass der Minister bei einem der wichtigsten Projekte im Ministerium für regionale Entwicklung versagt hatte".

Ivan Bartoš hat am 30. September sein Ministeramt verloren. Seine Agenden werden vorübergehend von Arbeits- und Sozialminister Marian Jurečka (KDU-ČSL) übernommen. Legislativminister Michal Šalomoun (parteifreier Minister für die Piraten) hat seinen Rückzug aus der Regierung für den 11. Oktober angekündigt, wie Premier Fiala nach dem Ministerrat vom 2. Oktober verkündete. "Ich habe die notwendigen verfassungsrechtlichen Schritte eingeleitet, einschließlich einer Vereinbarung mit dem Präsidenten", sagte Fiala und lobte Šalomouns "professionelle Herangehensweise" und "hervorragende Arbeit". "Ich schätze unsere Zusammenarbeit sehr und wünsche ihm viel Erfolg in seinem zukünftigen Berufsleben", sagte Fiala. Vertreter der Koalition haben bereits erklärt, dass sie den Posten des Ministers für Gesetzgebung nach dem Ausscheiden der Piraten nicht neu besetzen werden. Nach den Plänen der verbleibenden Koalitionsparteien wird Justizminister Pavel Blažek (ODS) das Ministerium von Šalomoun integrieren.

Designierter Industrieminister Vlček: "Green Deal ist eine Chance"

Der Vize-Vorsitzende der Bürgermeisterbewegung STAN, Lukáš Vlček, würde sich als Minister für Industrie und Handel gerne auf den Bereich Energie konzentrieren. Das sagte Vlček nach einem Treffen mit Premier Fiala als Kandidat für die Nachfolge von Jozef Síkela, der in die Europäische Kommission wechselt. Er fügte hinzu, dass sein Plan darin bestehe, die von seinem Vorgänger vorbereiteten Projekte zu vollenden. Vlček wird sich am 7. Oktober mit Staatspräsident Petr Pavel treffen, und wenn das Staatsoberhaupt zustimmt, dürfte er am Tag darauf vereidigt werden. 

Das Wichtigste, so Vlček, sei es, die Projekte abzuschließen, an denen die STAN seit drei Jahren gemeinsam gearbeitet habe. "Ob es um das Thema Energie, ausländische Investitionen oder die neue Wirtschaftsstrategie geht, die wir auf der Maschinenbaumesse in Brünn vorstellen wollen", sagte er. Er erwähnte die Vorbereitung neuer Kernkraftwerke, die Gesetzgebung zu erneuerbaren Energien und andere Projekte mit dem Ziel erschwinglicher und billiger Energie. Fiala sprach auch über die Notwendigkeit einer intensiven Kommunikation mit Partnern, seien es Vertreter von Berufsgruppen, lokalen Regierungen und Regionen oder ausländische Investoren.

"Wir haben viele Themen, und ich freue mich auf sie", sagte der Abgeordnete, der sich seit der Nominierung seines Vorgängers als EU-Kommissar auf das Ministeramt vorbereitet. Auf die Frage nach der Haltung der Regierung zum europäischen Green Deal warnte Vlček vor "Säbelrasseln", das dazu führen könnte, dass die Tschechische Republik den Zug verpasst. "Es wäre sehr schade, die Chance nicht zu nutzen und die Debatte nur auf die Benzinpreise zu beschränken", erklärte er.

Bei dem Treffen zwischen Fiala und Vlček ging es nicht nur über die Überarbeitung des Green Deal, die Entwicklung des Energiesektors und die Fertigstellung von Dukovany. "Wichtig sind auch der Bürokratieabbau für Unternehmer und die subventionsfreie Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen", sagte Fiala nach dem Treffen. Er bestätigte auch, dass er Vlček dem Präsidenten als Minister für Industrie und Handel vorschlagen werde.


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