Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL), gab dem tschechischen Recherchenetzwerk Hlídací pes ein ausführliches Interview. Anlass dafür war einerseits der herannahende 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges, andererseits, aus aktuellem Anlass, die soeben geschlagenen Bundestagswahlen. Posselt sprach dabei über die Entwicklungen des (sudeten)deutsch-tschechischen Verhältnisses und warnte vor einem erneuten Aufkeimen des Nationalismus. Unverständnis zeigte er für die Verharmlosung der AfD in vielen tschechischen Medien.
Bernd Posselt (CSU), ehemaliger Europaparlamentarier und seit 2014 Vorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft
Bild: Bernd Posselt
"Ich finde, dass unglaublich viele tschechische Kommentatoren die AfD auf die leichte Schulter nehmen. Ich verstehe nicht, wie ein Tscheche ein Interesse am Erstarken der Nationalisten im benachbarten - und, seien wir ehrlich, etwas größeren - Deutschland haben kann", sagte Posselt gegenüber Hlídací pes. Das Bild Deutschlands, das in den tschechischen Medien entsteht, spiegle die Realität im Lande nicht exakt wider, vor allem, wenn es um die Themen Migration oder Energie geht. Wenn man sich jedoch die deutsche Berichterstattung über die tschechische Politik ansieht, finde man dort keine, und wenn ja, dann ist sie schlecht. "Die tschechische Version ist einfach besser, wenn auch nicht perfekt", bemerkte er. "Die deutschen Medien beschäftigen sich zu wenig mit Tschechien, die tschechischen Medien beschäftigen sich zu viel über Deutschland und zu wenig mit Europa", ergänzte Posselt.
In einem starken, geeinten Europa sieht der SL-Obmann eine Antwort auf die rasanten geopolitischen Entwicklungen der letzten Monate, ja Wochen: "Deutschland entdeckt angesichts von Trump und Putin nun, dass es eigentlich ein kleines Land ist. Alle europäischen Länder sind klein. Nur gemeinsam kann Europa etwas bewirken", ist Posselt überzeugt.
80 Jahre Kriegsende
Vergangenes Jahr hat Posselt angekündigt, dass die Sudetendeutsche Landsmannschaft im Jahr 2025 gemeinsam mit der Tschechischen Republik den 80. Jahrestag des Kriegsendes und der Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei begehen will. Gleichzeitig sprach er davon, dass er sich von Seiten der tschechischen Politik ein "sichtbares Zeichen" erhoffe. Darauf angesprochen, was dieses Zeichen sein könnte, antwortete Posselt:
"Das ist eine Angelegenheit für die tschechischen Politiker. Ich mag es nicht, über die 'andere Seite' zu sprechen. Es ist nie gut, wenn jemand dem anderen sagt, was er zu tun oder zu lassen hat. Die derzeitige Führung des tschechischen Staates hat mein volles Vertrauen, dass sie das Richtige tun wird. Sie muss nicht belehrt werden."
2026 werde von Seiten der SL einen besonderen Schwerpunkt bei den Gedenkfeierlichkeiten haben., "weil eine große Zahl von Sudetendeutschen nicht 1945, sondern 1946 vertrieben wurde. Meine Familie zum Beispiel", erinnerte Posselt. "Das zeigt, dass die Vertreibung der Deutschen nicht nur eine spontane Reaktion auf den Krieg und den Nazi-Terror war, sondern dass sie ein Jahr nach dem Krieg eine systematische Aktion war."
Über die Zukunft von Verständigung und Versöhnung zwischen Sudetendeutschen und Tschechen gefragt, schloss Posselt: "In den mehr als fünfzig Jahren, in denen ich mich mit europäischer Politik beschäftige, habe ich eines gelernt: Die Verständigung und Versöhnung zwischen den Nationen ist ein nie endender Prozess. Es ist nicht etwas, das einmal getan wurde, und dann vorbei ist. Als Tschechen und Deutsche müssen wir uns gegenseitig helfen, das, was in der Vergangenheit geschehen ist, zur Gegenwart machen und daraus positive Kraft schöpfen. Die Geschichte ist nicht dazu da, um abgehakt zu werden, sie ist auch nicht dazu da, um sich gegenseitig mit einem schlechten Gewissen zu terrorisieren, aber sie ist auch nicht dazu da, um einfach übergangen zu werden. Wir müssen uns immer wieder mit ihr auseinandersetzen. Wenn der Dialog aufhört, kommt bald etwas, was niemand will: Nationalismus und Missverständnisse."
Das komplette Interview ist bei Hlídací pes in tschechischer Sprache über diesen Link abrufbar.
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