Verfasser: Außenwirtschaftscenter Prag, WKO Austria
Wirtschaftslage Tschechiens
Die bisher so resiliente CZ-Wirtschaft verspürt Gegenwind. In Q3/2022 sank das BIP um -0,4 %, auch für Q4 rechnen Experten mit einem schwächeren Ergebnis. Wegen des guten ersten Halbjahres sollte sich aber 2022 ein Gesamtwachstum von ca. +2,1 % bis +2,3 % ausgehen - besser als ursprünglich erwartet.
Unterstützung kam von der Industrieproduktion, die bis Ende August um +10,3 % (kalenderbereinigt, auf Jahresbasis) wuchs, insbesondere im Automobilsektor und bei Anlageinvestitionen (gestützt durch EU-Kofinanzierungen). Andere Sektoren entwickelten sich uneinheitlich: je ca. die Hälfte verzeichnete Produktionsanstiege bzw. -rückgänge.
Der Wert der Auftragseingänge stieg im August im Jahresvergleich wegen der oft niedrigen Basiswerte um +18,7 % (Inland: +26,7 %; Ausland: +14,9 %). Allerdings meldeten die Automobilhersteller wieder Stillstände wegen Teilemangel. Lieferketten blieben instabil, vor allem wegen der anhaltenden Schließung gewisser chinesischer Häfen. Vorausindikatoren signalisieren eine weitere allgemeine Abschwächung in der Industrie. Experten rechnen für 2022 und 2023 mit einem mageren Wachstum von jeweils nur ca. +0,5 %.
Die industriellen Erzeugerpreise stiegen im Jahresvergleich bis September in der Landwirtschaft um +33,6 %; Industrieerzeugnisse um +25,8 %; Bauleistungen um +13,1 %; marktbestimmte Dienstleistungen für Unternehmen um +6,8 %. 2022 sollen die Preise durchschnittlich um ca. +25 % zulegen.
Der private Konsum schwächelte wegen Realeinkommens-Verlusten, hohen Energiepreisen und dem sinkenden Verbrauchervertrauen. Die Einzelhandelsumsätze sanken ohne Autoverkäufe um -7,2 % im Jahresvergleich. Mit den Pkw-Verkäufen ging der Umsatz um -6,9 % zurück.
Die drei CZ-Autoerzeuger Škoda Auto, Toyota und Hyundai bauten bis Ende August dieses Jahres um +3,4 % mehr PKW als im Vorjahr und damit insgesamt über 800.000 Fahrzeuge. Hinter dieser Steigerung steht vor allem eine etwas verbesserte Zuliefer-Situation gegenüber dem vergangenen Jahr.
Der CZ-Außenhandel verzeichnete 2022 Monat für Monat eher untypische (leichte) Handelsbilanz-Defizite. Der Hauptgrund waren höhere Defizite im Öl- und Gasbereich als im Vorjahr. Gemildert wurden diese durch die positive Handelsbilanz bei Kraftfahrzeugen und im Stromhandel.
Insgesamt dürfte die Exportdynamik bzw. die Steigerung ggü. 2021 in den nächsten Monaten gedämpft verlaufen und sich nur knapp über dem Vorjahresniveau einpendeln. Hauptgründe sind die Verschlechterung der Auslandsnachfrage sowie des industriellen Produktionsumfelds. Parallel dürfte aber auch die Importnachfrage wegen der schwächeren Binnennachfrage und Rückgängen beim privaten Konsum sinken.
Die Arbeitslosigkeit lag Ende Q3 bei 3,5 % (nach CZ-Methodologie, 2,1 % nach EU-Methodologie), genauso hoch wie im Vorjahreszeitraum. Tschechien hat die niedrigste Arbeitslosenquote in der EU. 256.380 registrierten Jobsuchenden standen 306.000 gemeldete offene Stellen gegenüber. Die offenen Stellen befinden sich damit auf dem niedrigsten Stand seit Mitte 2018. Der überhitzte Arbeitsmarkt kühlt sich allerdings gerade etwas ab. Laut einer Umfrage der CZ-Wirtschaftskammer plant ein Fünftel der befragten Firmen Entlassungen bis zum Jahresende.
Der offizielle CZ-Durchschnittslohn stieg bis Ende September um +4,4 % auf 40.086 Kronen (1.632 Euro) brutto im Monat. Inklusive Bonuszahlungen verdienen Tschech*innen durchschnittlich ca. 49.166 CZK (2.000 EUR) brutto. Der offizielle Mindestlohn liegt seit Jahresbeginn bei 16.200 Kronen (660 Euro) monatlich. Angesichts der hohen Inflation sind 2022 Reallohn-Verluste von bis zu -6 % zu erwarten.
Die Inflation stieg im September auf 18,0 % im Jahresvergleich. Preistreiber waren die steigenden Kosten für Wohnen / Wohnungsbau, Energie (+49 %) sowie Lebensmittel. Da viele Tschechen noch von bislang fixierten Energiepreisen "profitieren", dürften deren Erhöhungen erst später im Jahr 2022 / Anfang 2023 richtig durchschlagen.
Die CZ-Nationalbank ČNB hat im Juni 2022 den Leitzins auf 7,00 % angehoben und dürfte diesen vorerst konstant halten.
Für 2022 plant die CZ-Regierung ein Budgetdefizit inklusive Budgetnachträgen von 375 Mrd. CZK (15 Mrd. EUR). Die (angekündigte) Haushaltskonsolidierung muss in den kommenden Jahren nun im Fokus der Regierung stehen. Die größte Herausforderung ist dabei der hohe strukturelle Saldo. Bis Ende Q3/2022 stiegen die Staatsschulden um 424,7 Mrd. CZK (17,4 Mrd. EUR) auf 2,9 Bio. CZK (120 Mrd. EUR), das sind aktuell 43,8 % des BIP.
Die Ratingagentur Moody's stuft Tschechien nun mit Aa3 (negative outlook) ein. Fitch hat bei seinem Rating AA- die Aussichten für die CZ-Wirtschaft von "stabil" auf "negativ" geändert.
Besondere Entwicklungen - Ausblick 2023
Für 2023 liegen die Wachstumsprognosen bei ca. +1,0 %, jedoch mit gewissen Abwärtsrisiken. Der seit Q3/2022 bemerkbare Rückgang der Kapazitätsauslastung der Wirtschaft, sinkende Auftragseingänge sowie die Schwäche des Einkaufsmanager-Index deuten auf eine Verlangsamung der Investitionen und einen Leistungsabfall der Industrie bis Ende Q1/2023 hin. Nach dieser technischen Rezession zur Jahreswende erwarten Experten 2023 angesichts des schwachen Wachstums im Ausland, einem damit schwierigen Exportumfeld und des weiteren Durchschlagens der Energiepreise nur eine bescheidene Erholung. Immerhin sollte die erwartete Auszahlung von EU-Mitteln die Investitionen des öffentlichen Sektors unterstützen.
Da CZ mehr als ein Viertel seines BIP durch Exporte nach Deutschland erzielt, wird vor allem die dortige weitere wirtschaftliche Entwicklung (mögliche Rezession) starke Auswirkungen auf die CZ-Wirtschaft haben.
Obwohl CZ nur ca. 3 % seines Außenhandels mit der Ukraine und Russland abwickelt, spürt ein Großteil der CZ-Unternehmen direkt oder indirekt die Folgen des Krieges. Vor allem die Automotive-Industrie hat entweder Probleme beim Absatz (Škoda verliert mit Russland seinen zweitgrößten Absatzmarkt für ca. 90.000 Fahrzeuge), oder kämpft mit temporären Zulieferproblemen aus der Ukraine (Kabelbäume, Sitzbezüge, etc.).
Die CZ-Gasspeicher sind per Ende Oktober zu 95 % gefüllt, damit dürfte das Land gut durch den Winter kommen. CZ erhält bereits regelmäßig vertraglich vereinbarte LNG-Lieferungen aus den Niederlanden, die bis zu einem Drittel des CZ-Jahresverbrauchs decken können. Zusätzlich verhandelt das Land mit den Niederlanden und Deutschland über eine bevorzugte Nutzung von weiteren LNG-Terminals. CZ plant auch die Beteiligung am Bau der Gaspipeline Stork II in Polen, die LNG aus Polen nach CZ bringen soll. In CZ soll dann über eine nochmals 123 km lange neue Pipeline (Moravia Capacity Extension II) Gas ins Landesinnere verteilt werden. Weiters verhandelt CZ auch über den Bau einer Pipeline, die CZ mit Raffinerien in Polen verbindet, um Diesel nach CZ zu transportieren. CZ will dafür Gelder aus dem EU-Programm RePower EU beantragen.
Die Regierung hat im Oktober die Deckelung der Strom- und Gaspreise für das Jahr 2023 genehmigt. Die Höchstpreise liegen für Strom bei CZK 6.000 / MWh (ca. EUR 244) und für Gas bei CZK 3.000 / MWh (ca. EUR 122) und gelten verbrauchsunabhängig für Haushalte sowie für Heizwerke. Bei Gas gilt die Deckelung auch für Unternehmen mit einem Jahresverbrauch von bis zu 4.200 MWh. Für an Hoch- und Höchstspannung angeschlossene KMU wurden die Strompreise auf 80 % des Höchstverbrauchs der letzten fünf Jahre gedeckelt. Konkrete Energiepreishilfen für industrielle Großverbraucher sind noch in Verhandlung.
Die Reallöhne werden 2022 um ca. -6 % und 2023 nochmals um ca. -1,2 % sinken. Der Binnenkonsum dürfte daher für die nächsten ca. 12 bis 18 Monate schwächeln und als Wachstumstreiber ausfallen.
Fast 40 % aller Unternehmenskredite in CZ werden bereits in Euro vergeben, weil dafür deutlich niedrigere Zinsen gezahlt werden müssen als für Kronen-Kredite. Ab 2024 soll es auch möglich sein, Buchhaltungs- und Steuerunterlagen in Euro zu führen und Steuerzahlungen in Euro zu leisten.
Wohnen in den eigenen vier Wänden wird für viele Tschechen immer unerschwinglicher. Der Kauf einer 70 m2-Eigentumswohnung kostet in CZ 13,3 durchschnittliche Brutto-Jahresgehälter, in Prag sogar 15,3 Jahresgehälter. Mit einem Anstieg um 1,1 Brutto-Jahresgehälter seit 2020 ist CZ damit das Schlusslicht bei der "Leistbarkeit" im gesamteuropäischen Vergleich.
CZ übernahm am 1. Juli 2022 die EU-Ratspräsidentschaft mit fünf Prioritäten: Versorgung von Flüchtlingen und Wiederaufbau in der Ukraine, Energiesicherheit, Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeit, strategische Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft in der EU sowie die Widerstandsfähigkeit demokratischer Institutionen. Mit der bisherigen Leitung der Ratspräsidentschaft hat CZ bisher in einem sehr schwierigen politischen und wirtschaftlichen Umfeld eine gute Figur abgegeben.
Tschechien war auch im 1. Halbjahr 2022 ein EU-Nettoempfänger und erhielt um ca. EUR 950 Mio. mehr aus dem EU-Budget als es einzahlte. Für die Aufbauhilfe "NextGenerationEU" hat die EU-Kommission im September 2021 vorerst EUR 915 Mio. an CZ ausbezahlt (= 13 % der insgesamt ca. EUR 7 Mrd., die für CZ bereitstehen). Diese Vorfinanzierung dient als "Anschubfinanzierung" für die von CZ skizzierten Investitions- und Reformvorhaben. Seit dem EU-Beitritt 2004 hat CZ insgesamt über eine Billion Kronen (40,6 Mrd. Euro) mehr von Brüssel bekommen als es eingezahlt hat.
Für die Kofinanzierung von EU-Mitteln aus dem CZ-Staatshaushalt gelten für 2021- 2027 folgende Regelungen: Weniger entwickelte Regionen Tschechiens erhalten 85 % der Kosten öffentlicher Projekte aus EU-Mitteln. Neue sog. "Übergangsregionen" bekommen immerhin noch 70 % aus EU-Fonds. In besser entwickelten Regionen geht der EU-Mittelanteil auf 40 % zurück.
Tschechien will keine "verlängerte Werkbank" mehr sein. Nationale Investitions-Förderungen zielen nur mehr auf Investitionen in Technologiezentren, strategische Servicezentren und im Produktionsbereich auf "anspruchsvolle Projekte" ab. Diese Projekte müssen nachweislich in Forschung und Entwicklung investieren und eine Zusammenarbeit mit einer Universität oder Forschungseinrichtung inkludieren. Durch diese neuen Investitionsanreize haben nun auch kleinere Unternehmen eine bessere Chance auf Förderungen.
Wirtschaftsbeziehungen mit Österreich
Tschechien ist der weltweit sechstwichtigste Wirtschaftspartner Österreichs: achtwichtigste Exportdestination; importseitig Nr. 5. In Mittel- und Osteuropa: führender Handelspartner (Exporte und Importe). In der EU-27: sechstwichtigster Exportpartner, drittwichtigster Importpartner.
Der bilaterale Außenhandel gab im ersten Halbjahr 2022 ein kräftiges Lebenszeichen von sich. Die österreichischen Ausfuhren stiegen quer über alle Warengruppen um +24,6 % auf EUR 3,6 Mrd. Die Einfuhren nahmen um +31,8 % auf EUR 4,68 Mrd. zu. In der größten Gruppe "Maschinenbauerzeugnisse und Fahrzeuge" (EUR 1.116 Mrd.; 31 % aller Exporte) nahmen die Ausfuhren von KFZ(-Teilen) um ca. +12,2 %, von elektrischen Maschinen um +10,8 % und von Arbeitsmaschinen für besondere Zwecke (z.B. in der Landwirtschaft) um +20,2 % zu. Die "Bearbeiteten Waren" (EUR 930, 1 Mio.) als zweitgrößte Gruppe stiegen um über +37 %. Eisen- und Stahlprodukte (v.a. Bleche) legten dabei um ca. +55 % zu; andere Metallwaren um +20 %; Papier / Pappe um +34 % - eine Kombination von gestiegener Nachfrage und höheren Vormaterialpreisen für die stark produktionsorientierte CZ-Wirtschaft. "Chemische Erzeugnisse" (EUR 497,7) als drittwichtigste Grupppe wuchs um +25,1 % (v.a. Medizinisch/pharmazeutische Produkte, Kunststoffe).
Bei den Einfuhren aus Tschechien dominierten ebenfalls Maschinenbauerzeugnisse und Verkehrsmittel (EUR 1,48 Mrd., +4,1 %) als die bei weitem wichtigste Importposition. Straßenfahrzeuge, elektrische Maschinen sowie Kühl-/ Kälteanlagen / Pumpen waren die größten Warenpositionen.
Der Austausch von Dienstleistungen stieg im 1. Hj. / 2022 wegen des sich wieder erholenden Tourismus deutlich über die Vergleichswerte von 2021. Die österreichischen Dienstleitungsexporte nahmen um +42,0 % auf EUR 929 Mio. zu (weltweit Platz 7). Die Dienstleistungsimporte erhöhten sich um +20,7 % auf EUR 775 Mio. (weltweit Platz 12).
CZ lag von Jänner bis September 2022 bei den Tourismus-Herkunftsländern weltweit auf dem vierten Platz, was die hohe Beliebtheit eines Urlaubs in Österreich bei Tschechen deutlich zeigt.
Laut OeNB belief sich der Bestand österreichischer Direktinvestitionen in CZ per Ende 2021 auf EUR 16,781 Mrd. (Ende 2020: EUR 14,21 Mrd.). CZ ist damit für österreichische Firmen nach Deutschland weltweit das nun zweitwichtigste Investitionsland. Österreichische Niederlassungen in CZ zählten Ende 2020 ca. 95.800 Beschäftigte, damit liegt Tschechien weltweit ebenfalls an zweiter Stelle.
CZ bleibt durch seine gute wirtschaftliche Basis weiterhin ein höchst interessanter Markt für österreichische Unternehmen in folgenden Bereichen:
• Automotive | bleibt die Schlüsselindustrie
• Industriezulieferungen | Maschinen, Komponenten, Vormaterialien für die stark ausgeprägte, exportorientierte Industrie
• Höherwertige Konsum- und Freizeitgüter | durch in den letzten Jahren stetig wachsende Einkommen
• Intelligentes und energiesparendes Bauen | erneuerbare Energiequellen, Niedrigenergiebauweise, Haussteuerung und –technik, etc.
• ICT | Industrie-Automatisierung - weitere Digitalisierung - Robotik, intelligente Energie-Technologien; Virtual Reality/Augmented Reality
• Nanotechnologien | v.a. Fasern
Interessante Links:
Advantage Austria - Österreich in der Tschechischen Republik
Den gesamten Wirtschaftsbericht Tschechische Republik des Außenwirtschaftscenter Prag der WKO als PDF-Dokument finden Sie hier: Download
Vorschaubild: 123site/Pixabay
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